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(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze) |
Inhalt:
Paul de Witt ist auf der Flucht. Auf der Flucht vor der Vergangenheit und vor seinem eigenen
Leben, die ihm gelingt, indem er seine Tage und Nächte vor dem Videogerät verbringt. Er ist
Fernsehsüchtig und vernachlässigt darüber seine Frau und seine Kinder. Dabei hat er seit der Zeit
als Student eine Vision: Er will ein Kapitel der französischen Geschichte umschreiben. Denn wäre
die Flucht Ludwigs XVI. nicht missglückt, wäre der Fortlauf der Geschichtsschreibung ein anderer
gewesen. Und somit hätten nachfolgende Ereignisse nicht zwingend stattfinden müssen. Alles wäre
anders gelaufen, wenn nur, ja wenn... der Zufall den Fluchtversuch nicht vereitelt hätte. Doch
wessen Geschichte Paul eigentlich meint, ist seine eigene. Darüber, dass seine Eltern in
Auschwitz umgekommen sind, kommt er nicht hinweg und findet sich in seinem eigenen
Lebenslauf nicht zurecht. Seine Frau, die merkt, wie sehr er sich mehr und mehr selbst zu Grunde richtet,
drängt darauf, dass er seine Recherchen über König Ludwig XVI. wieder aufnimmt. So reist Paul
nach Paris, lernt dort Pauline kennen, die wie er jüdischer Abstammung ist. Er fühlt sich in
ihrer Nähe auf unerklärliche Weise verstanden. Als er ein Foto von ihr macht, ist im Hintergrund
ein Mann zu sehen, der ihm selbst zum verwechseln ähnlich sieht. So begibt er sich auf die Suche
nach diesem Mann, der sein Zwillingsbruder sein könnte, den es tatsächlich gegeben hat. Sie
wurden im Krieg getrennt, als die Eltern ins KZ gebracht wurden...
Meine Meinung:
Realitätsflucht ist es, was Paul de Witt betreibt. Zunächst durch die Flucht in die Welt des
Fernsehens, dann durch den Versuch die Geschichte umzuschreiben - und sei es auch in einem
Kapitel, das mit dem Schrecken seiner eigenen familiären Vergangenheit nicht im Zusammenhang
steht. Aber die bloße Möglichkeit, den geschichtlichen Ereignissen eine andere Wendung zu geben,
beruhigt ihn und verspricht Wunden zu heilen und der Unabänderlichkeit der Vergangenheit zu
trotzen.
Die eigene Familiengeschichte, die so traurig durch den Holocaust beeinflusst wurde, lässt ihn
dennoch nicht in Ruhe. Denn diese Realitätsflucht gelingt nur sehr bedingt. Zumal sie eine
Verweigerung des eigenen Lebens mit sich bringt. Als er durch seine Geliebte in Paris wieder in
ein eigenes, wenn auch heimliches Leben, zurückgezogen wird, forscht er auch endlich in den
tatsächlichen Begebenheiten nach, die eine Spur legen zu seinem verstorben geglaubten
Zwillingsbruder. Ihn zu finden scheint unmöglich und einzig die Akzeptanz einiges
nicht ändern zu können, verspricht Freiheit - Freiheit für ein Leben außerhalb der
alles verzehrenden Erinnerung und Unabänderlichkeit der Vergangenheit.
Und sei es noch so bedauerlich, dass vielleicht eine klitzekleine
Entscheidung die Geschicke anders hätte gestaltet gestalten können. Es
ist nicht mehr zu ändern.
Wer könnte dieses Thema besser einfangen als Leon de Winter? Er hat sich schon so oft als Meister
von Lebens- und Vergangenheitsgeschichten auf diesem Terrain bewiesen. Stets sind es in seinen
Romanen niederländische Juden im Hier und Heute, die traumatisiert sind durch die Gräueltaten im
dritten Reich, die die Grundfesten jüdischer Familien erschüttert haben und auch den
nachfolgenden Generationen noch tiefe Wunden zugefügt und leere Flecken in der Familiengeschichte
hinterlassen haben. Wie damit umgehen? Was heißt diese Vergangenheit für unsere jüdischen
Mitmenschen in der heutigen Zeit? Eine Idee davon vermittelt Leon de Winter in seinen Romanen - so
auch hier, in diesem sehr frühen Werk. Man merkt dem Roman an, dass es einer der ersten dieses
Autors ist. Er kann es heute noch weit besser und dichter und schafft es
auch mit einem feinen Humor die Tragik des Gesagten noch zu unterstreichen
- dieses Element fehlt hier. Und doch ist für jeden de Winter-Begeisterten auch diese Erzählung eine Bereicherung. Das Seelenvolle und die tiefen
Gedanken sind auch hier bereits zu finden und das was er hier liefert ist, auch wenn er es heute
noch besser kann, viel besser als so manches, was andere Schriftsteller zu dem Thema beitragen.
Mit Christian Berkel hat man für die Lesung genau den richtigen Sprecher ausgewählt. Er fängt
stimmlich Paul de Witts Verzweiflung ein, die sich dadurch äußert, dass er völlig gedämpft durchs
Leben wandelt - ein Realitätsflüchtling halt, dem es dadurch jedoch nicht die Spur besser geht.
Eine wirklich tolle Umsetzung, die dem Ton des Buchs gerecht wird. (Petra)
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geht
es zur Rezension des Buchs "Place de la Bastille" im Buecher4um. |
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