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Rezension

Cover Fünfunddreißig
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(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Inhalt:  

Gehrer ist fünfunddreißig, steht in der Mitte seines Lebens. Nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt. Voller Gedanken über das Leben. Das Leben vor der Fünfunddreißig, nach der Fünfunddreißig und auch so ganz im Allgemeinen. Einiges liegt hinter einem. Manches ist unwiederbringlich mit der Jugend verloren gegangen. Anderes läuft heute besser. Vieles hat man nicht mehr nötig. Eine Menge wird von einem erwartet, so manche Rolle hat man zu bekleiden. Ehemann, Manager,... Gehrer zieht Bilanz und erkennt, was er sich anders wünscht. Was hindert ihn? Konventionen? Darf man sich selbst im Weg stehen, obwohl man mit fünfunddreißig deutlich spürt, dass das Leben endlich ist?

Meine Meinung:

Ob Gehrer auf diese Fragen Antworten findet und sie somit seinen Lesern mit auf den Weg geben kann? Eher nicht. Aber das wäre auch zu viel verlangt, dass er die Antworten auf die Fragen des Lebens weiß. Aber die Figur des Gehrer wirft Fragen auf. Die scharfen Beobachtungen, die er anstellt, fügen denen, die seinen Gedanken folgen, so manche Wunde zu. Mal ein kleiner Stachel, mal ein tiefer Schnitt. Auf jeden Fall kleine Verletzungen mit Folgen: Denn sie stimmen nachdenklich.

Dobelli bedient sich der Figur des Gehrer. Doch im Grunde genommen ist Gehrer ein Platzhalter. Ein bisschen kann sich in ihm wohl ziemlich jeder Mensch wiederfinden, der im Berufsleben steht, der eine Beziehung führt, der in den Fängen der Gesellschaft lebt. Auch in seiner Frau Jeannette finden sich viele Jeannettes, viele Frauen, wieder. Unterstrichen wird dieses Platzhalterdasein von Gehrer und Jeannette durch den bewusst distanzierten Erzählstil. So wird Gehrer stets nur beim Nachnamen genannt. So kann sich der Leser (hier Hörer) nicht des Eindrucks erwehren, als würde Gehrer sich selbst von außen beobachten. Zwar wird die Geschichte in der 3. Person erzählt, aber auf merkwürdige Art muss man sich immer genau daran entsinnen, dass es so ist. Denn eigentlich hat man das Gefühl, diese 3. Person ist niemand anders als der sich von außen beobachtende Gehrer selbst. Mich hat dieser Erzählstil sofort gefangen genommen und fasziniert. Durch die gewollt erzeugte Distanziertheit kommt man auf widersinnige Weise Gehrers Gedanken unheimlich nahe. Faszinierend.

Verdeutlichen kann vielleicht ein Beispiel, wie man sich diesen distanzierten Stil vorstellen kann. Es reihen sich Sätze aneinander wie Beispielsweise: „Hier Gehrer mit Zigarre“.

Zigarre rauchen ist auch ein schönes Beispiel, welch gnadenloser Beobachter Dobelli ist. Er skizziert Gehrers Gedanken, die er hegt, als er widerwillig Zigarre im Kreis von Geschäftsleuten raucht, zu denen auch er gehört, gehören will, gehören muss oder soll. Das Rauchen selbst reicht noch nicht – es muss auch gute Mine zum bösen Spiel gemacht werden. D. h., man darf sich als Mitschwimmer nicht anmerken lassen, dass einem die Zigarre zuwider ist. Diese gesellschaftlichen Spielregeln muss man nicht nur kennen, sondern sich auch an sie halten. Richtet man sich gegen sie, muss man gleichzeitig den Mut aufbringen, neue, eigene Wege zu gehen. Einer Karriere ist es nicht förderlich. Diese wiederum dem Lebensglück, wie die Szene so schön zeigt, auch nicht.

Ebenso unbarmherzig aber treffend wird auch Jeannette beobachtet. Wie sie über Gehrer bestimmt, dass er neue Kleidung braucht. Ihn von einem Geschäft ins nächste zerrt. Auch dann noch, als sie längst das passende gefunden haben. Dobellis Blick auf diese Szene lässt innehalten, nachdenken. Besonders, da er sie durch die enorme Distanz und Schnörkellosigkeit der Erzählung noch klarer, schärfer und deutlich werden lässt.

Interessant ist, dass Dobelli inzwischen mit „Was machen Sie beruflich“ einen zweiten Roman geschrieben hat, in dem Gehrer im Mittelpunkt steht. Nichts außergewöhnliches, könnte man jetzt meinen. Aber Gehrer ist kein „Serienheld“ von der Stange. Die kühle Art, wie der Autor von ihm berichtet, hebt ihn von anderen „Serienhelden“ ab. Es wird lediglich das Verhalten von Menschen in der heutigen Zeit beobachtet. Ausgemacht an dem beliebig austauschbaren Gehrer. Er wird dem Leser nicht erst sympathisch gemacht, bevor es ans Eingemachte geht. Nein, er wird seziert, ohne große Einführung. Diese direkten Gedanken um die Person des Gehrer dringen direkt ins Bewusstsein. Vielleicht, weil Dobelli seine Figur so emotionslos betrachtet. Mit ihm möchte sich sicher niemand identifizieren – und doch ist es unausweichlich. Denn Gehrer steht für viele von uns, die wir allzu oft gefügig sind, mitschwimmen, uns im Spiegel betrachten und beobachten, wie wir langsam älter werden, während sich in unserem Innenleben nichts bewegt, nichts auflehnt.

Und hierin liegt vielleicht die Botschaft: Abschütteln, was wir mit Gehrer gemeinsam haben, oder wenigstens einmal darüber nachdenken. Zu uns selbst finden, Bilanz ziehen, ändern, was wir noch ändern wollen, bevor die zweite Lebenshälfte vorbei ist. Uns erheben und einen – unseren – Weg gehen, anstatt in der Masse und in Gewöhnlichkeit dahinzutreiben. Mich hat Gehrer wirklich nachdenklich gemacht. Dobelli werde ich auch in Zukunft größte Beachtung schenken!

Aber nicht nur ihm. Sondern vor allem auch dem Sprecher dieses Hörbuchs. Ulrich Noethen vollbringt hier eine unvergleichliche Glanzleistung. Ich selbst kenne das Buch. Dobellis Sätze sind außergewöhnlich geschrieben. Sie zu lesen, ihnen die richtige Melodie und Betonung zu geben, ist – das weiß man nach Ulrich Noethens Interpretation – unverzichtbar, um von Dobellis Text mit voller Wucht getroffen zu werden. Ulrich Noethen nimmt dem Hörer diese Arbeit ab. Und die lasse ich mir von ihm gerne abnehmen. Ich bin ganz ehrlich: Ich hätte es nicht im Ansatz so zu lesen vermocht, wie er. Jede Betonung sitzt, und sei sie auch noch so fein erspürbar. Ihm entgeht sie nicht . Und somit – Ulrich Noethen sei Dank – dem Hörer auch nicht.

„Fünfunddreißig“ ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sehr sich Autor und Sprecher ergänzen und gegenseitig schmeicheln können. Manches Mal verblüfft ein Verlag mit der Treffsicherheit bei der Wahl des Sprechers so, dass ich versucht bin zu glauben, dass es für eine Vorlage nur EINEN Sprecher geben kann, den der Verlag auf wundersame Weise kennt. Bei Patmos habe ich nicht zum ersten Mal das Gefühl. Bravo! (Petra)

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© 2002 Hoerbuecher4um, erstellt am 25.07.2005, letzte Änderung am 30.08.2005, Layout by abrakan