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Rezension

Cover Der Fremde
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Bewertung:
(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Inhalt:

Einen Tag nachdem die Mutter des algerischen Büroangestellten Meursault stirbt, trifft er Marie wieder, eine Frau, die er einst begehrte. Ebenso lernt er in dieser Zeit seinen Nachbarn Raymond kennen, durch den er in einen Zwist mit einer Gruppe von Arabern verwickelt wird.

An einem schönen Tag, den Meursault, Marie und Raymond gemeinsam am Meer verbringen, stellen die Araber ihnen nach. Der hitzige Raymond ist bewaffnet. Meursault nimmt die Pistole an sich, um zu verhindern, dass die Situation eskaliert. Wenig später sieht Meursault sich einem der Arabern allein gegenüber, der ein Messer in der Hand hält. Die Sonne steht steil am Himmel und blendet Meursault. Dies ist der Augenblick, an dem Meursault bewusst wird, dass er mit einem kleinen Schritt nach vorn um der blendenden Sonne auszuweichen, das Gleichgewicht eines perfekten Tages zerstört hat. Meursault schießt...

Meine Meinung:

„Der Fremde“ ist ein Meisterwerk! Diese Feststellung klingt abgedroschen, muss aber wiederholt werden. Denn seit diesem Hörbuch gilt diese Aussage in zweierlei Hinsicht: für Camus’ Vorlage und für Ulrich Matthes Umsetzung.

Zur Vorlage:

Die Geschichte Meursaults übt auf mich eine große Faszination aus. Camus’ in der ersten Person verfasste Geschichte setzt an dem Zeitpunkt ein, als Meursaults Mutter stirbt. Wir erleben Meursault als emotionslosen Menschen, der Geschehnisse zur Kenntnis nimmt, ohne sie zu werten, ja, der einfach nur (er)lebt. So ist er auch nicht ergriffen, als seine Mutter stirbt. Die Tage nach dem Tod verlaufen weiter ganz natürlich im Strom des Lebens und Meursault lässt sich darin treiben, ohne den Ereignissen Bedeutung beizumessen oder in sie einen Sinn zu interpretieren. Dies wird ihm später zum Verhängnis. Nachdem er wegen des Mordes an dem Araber vor Gericht steht, wird er zum Tode verurteilt. Die Strafe fällt somit sehr hart aus. Und das hat einen guten Grund: Eine Gesellschaft, die an eine höhere Macht, an Gott, glaubt, wertet. Und die moralische Wertung, der ein Glaube an Gott zugrunde liegt, empfindet ein Verhalten, wie Meursault es nach dem Tod seiner Mutter an den Tag legt, als gefühllos und unmenschlich. So wird Meursault wegen Unmenschlichkeit zum Tode verurteilt und nicht wegen des Verbrechens, dessen er eigentlich angeklagt ist.

Faszinierend daran ist, dass die Geschichte aus der Sicht Meursaults erzählt wird und der Leser (hier Hörer) somit erkennt, dass es eine andere Sicht der Dinge geben kann. Würde diese Erzählung in der dritten Person verfasst worden sein, würde der Leser/Hörer Meursaults Verhalten sicher nicht verstehen können. Er würde sich der anklagenden Rufe der Gesellschaft anschließen wollen. Was ist Meursault schließlich für ein Mensch, der eiskalt einen Tag nach dem Tod der Mutter eine Affäre beginnt? Dem egal ist, ob und wen er heiratet? Der eine Freundschaft mit seinem Nachbar knüpft und schließlich dessen Kontrahenten tötet? Die Geschehnisse jedoch durch Meursaults Augen betrachtet, nehmen den Ereignissen nicht nur ihren tieferen Sinn, sondern entlarven die sinn- und gottesgläubige Gesellschaft, die in alles eine Bedeutung hineininterpretieren wollen und müssen, wenn sie an ihrem Glauben an einen verborgenen Sinn keinen Verrat üben wollen.

So dürfen wir als Leser oder Hörer eindrucksvollen Szenen lauschen, die aufhorchen lassen. Mir fällt da spontan eine Stelle ein, an der Meursault vor dem gottesfürchtigen Untersuchungsrichter erschrickt, bis ihm lapidar einfällt, dass er sich nicht zu fürchten braucht, da ja er, Meursault, der Verbrecher ist. Dies ist eine von vielen Stellen, die mich intensiv zum Nachdenken angeregt haben.

Eine weitere Erkenntnis Meursaults, in der sich für einen Moment mein Weltbild auf den Kopf stellte, war die, als er sich - zu Recht - darüber wunderte, was er in den Gesichtern der Menschen las, als das Todesurteil gegen ihn ausgesprochen wurde. Es hat mich erschrocken, wie unglaublich und gleichzeitig wahr Meursaults Feststellung ist. Hier fühlte ich mich veranlasst zu überdenken, ob der Sinn, dem wir Menschen unserem Dasein unterstellen, nicht moralische Wertmaßstäbe nach sich zieht, die absonderlicher sind, und im Grunde viel verwerflicher, als Meursaults Gleichgültigkeit. Auch der Prozess, der Meursault gemacht wird, zeugt von moralischen Grundsätzen, die zum abstempeln und verurteilen dessen veranlassen, was uns fremd ist. Absonderlich ist ferner auch, dass man Meursault seine Teilnahmslosigkeit zum Vorwurf macht, während man Prozess über ihn führt, an dem man ihn selbst nahezu nicht beteiligt. Meursaults Verwunderung darüber ist absolut verständlich und lässt auch an dieser Stelle Zweifel aufkommen, wer eine merkwürdige Auffassung vertritt; die Gesellschaft in der solch eine Verfahrensweise normal ist, oder er selbst?

Ebenso überdenkenswert ist der Titel des Buchs. Der Fremde steht hier sicher für einen Sonderling, der nicht in die Gesellschaft passt. Aber auch scheint Meursault sich selbst gegenüber ein Gefühl der Fremde zu empfinden, so teilnahmslos begegnet er seinem eigenen Leben.

Seine Gleichgültigkeit erfährt nur in physischen Erlebnissen einen Bruch. Sowohl im Verlangen Marie zu küssen, als auch beim schwimmen im Meer - in der Glut der Sonne, deren Strahlen sich in feinste Teilchen bricht -, woran er sich später als Inhaftierter ekstatisch erinnert.

Sachlich, nüchtern und teilnahmslos wie Meursault seiner Existenz gegenübersteht, ist auch Camus’ Erzählton. Kurze, einfache Sätze, die aber nicht über die Tiefe seines Werks hinwegtäuschen können. Im Gegenteil: dadurch, dass er - passend zum Inhalt - die Sprache nicht verkompliziert, erreichen die Sätze den Leser mit voller Wucht. Ein Erlebnis!

Zum Sprecher:

Grob betrachtet kann man Sprecher wohl in drei Gruppen einteilen: Nennen wir sie einmal schlechte, neutrale und ideale Sprecher. Der schlechte Sprecher steht zwischen dem Text und dem Hörer und verhindert, entfremdet oder zerstört gar die Vorlage. Der neutrale Sprecher liest oder erzählt eine Geschichte und sorgt für schöne Hörstunden. Der ideale Sprecher jedoch transportiert die Sprache. Und wenn das gelingt, ist es Kunst. Und diese Kunstform ist es, die einem Buch zu noch größerer Intensität verhelfen kann, als der gedruckte Text es vermag. Ulrich Matthes ist solch ein Künstler.

Er verhilft diesem Werk zu bestmöglicher Eindringlichkeit, ohne Camus’ Vorlage zu beeinflussen. Ulrich Matthes hält seine eigene Persönlichkeit komplett im Hintergrund und wird zur stimmlichen Verkörperung Meursaults. Seine Stimme klingt unbeteiligt, teilnahmslos, oft gleichgültig und ist doch so voll menschlicher Schönheit. Und genau das spiegelt die Person Meursaults perfekt wieder. Matthes macht diese Lesung zu einem Ereignis. Eines mit der intensivsten Hörerlebnisse, die ich je hatte.

Wissenswertes zu Camus und zur Hörbuch-Reihe ’Literaturnobelpreisträger’:

„Der Fremde“ ist ein Buch über den Sinn oder Unsinn des Lebens, dessen Hauptfigur Meursault praktiziert, was Camus in seinem Essay „Der Mythos des Sisyphos“ bereits philosophisch thematisiert hat. Diese beiden Werke bezeichnet man gemeinsam mit dem Drama „Caligula“ als die ’drei Absurden’. Das Absurde und die Gleichgültigkeit sind Camus’ Hauptthemen, die sich in seinem Werk stets wiederfinden. Oft wiederkehrende Elemente in seinem Werk sind auch die Mutter, die Sonne und das Meer.

Erschienen ist diese grandiose Hörbuchproduktion im Patmos Verlagshaus in der Reihe Literaturnobelpreisträger. Im Innern der raffiniert gestalteten Hülle finden sich Informationen zum Verfasser Albert Camus, dem im Jahr 1957 der Literaturnobelpreis verliehen wurde. Es wird darauf eingegangen, was Camus’ Werk aus macht. Auch sind Auszüge aus Camus’ Rede abgedruckt, die er anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises hielt. Eine tolle Idee, solch eine Hörbuch-Reihe herauszugeben. Ich wünsche der Reihe viel Erfolg! Es wäre ein Traum, wenn sich einst die Werke eines jeden Literaturnobelpreisträgers hier einreihen würden. (Petra)

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© 2002 Hoerbuecher4um, erstellt am 09.11.2004, letzte Änderung am 30.11.2004, Layout by abrakan