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Rezension

Cover âventiure vür daz ôre - Hartmanns von Aue 'Erec'
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Bewertung:
(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Inhalt:

In diesem Hörbuch wird Hartmanns Roman in heutigem Deutsch nacherzählt, aber das besondere an diesem Hörbuch ist, daß darin auch mittelhochdeutsche Passagen vorgetragen werden. Der erste Satz des Beihefts fängt so an:

"Hätte der moderne Buchmarkt nicht Hörbücher erfunden, so blieben laut vorgelesene Erzählungen heute fast ausschließlich für Kinderohren reserviert -"

"Erec" ist der älteste erhaltene Roman der deutschsprachigen Literatur, er ist gut 800 Jahre alt. Zum Inhalt wäre viel zu sagen, aber das würde hier zu weit führen. Im Roman geht es darum, wie ein Herrscherpaar (Erec und Enite) die rechte Balance zwischen persönlichem Glück und sozialer Verantwortung findet. Klingt vielleicht langweilig, aber zu diesem Zweck müssen sich die beiden auf einer Abenteuerfahrt bewähren, in deren Verlauf Erec gegen diverse Ritter und auch gegen Riesen kämpft, er übersteht eine schwere Verwundung, zeitweilig wird er für sogar tot gehalten, seine Frau Enite muß sich gegen einen liebestollen Grafen wehren, man begegnet einem zwergenhaften König, es wird von heilkräftigen Feenpflastern erzählt, 80 Witwen müssen befreit und ein bisher unbesiegter roter Ritter besiegt werden, dazwischen passiert noch die ein oder andere Kleinigkeit.

Romane wie der Erec waren im Mittelalter für ein adliges Publikum bestimmt, das sich die tugendhaften Ritter und Herrscher dieser Romane zum Vorbild nehmen konnte und sich natürlich auch einfach an den abenteuerlichen und aufregenden Geschichten erfreute. Diese Romane wurden damals laut vorgelesen oder vorgetragen, es waren tatsächlich "Hörbücher" (deshalb waren sie übrigens in gereimter Versform verfaßt, denn das klingt nicht nur schöner, sondern Reime kann man sich auch leichter merken). Da der Erec also eigentlich ein "Hörbuch" war, ist es eine gute Idee, uns Heutigen den Erec in Form eines modernen Hörbuchs nahezubringen.

Was weiß man eigentlich über die historische Aufführungspraxis mittelhochdeutscher Romane? Leider fast nichts. Ob da nun einer mit der Pergamentrolle stand und vorgelesen hat oder ob der Vortragende den Text auswendig vortrug, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht haben sich die Vortragenden abgewechselt oder mit verteilten Rollen vorgelesen. Die vollständige Lesung eines umfangreichen mittelhochdeutschen Versromans kann durchaus 10 Stunden oder sogar noch deutlich länger dauern. Größere Romane hat man damals deshalb vielleicht über mehrere Tage verteilt in Abschnitten vorgetragen.

Im vorliegenden Hörbuch wird vernünftigerweise gar nicht erst der Versuch unternommen, irgendetwas zu rekonstruieren, worüber man ohnehin fast nichts weiß, sondern es wird der Erec in gekürzter Form (71 Minuten) und in einer frischen und modernen Art präsentiert. Neun Studentinnen und eine Professorin gaben diesem Roman ihre Stimmen (das Hörbuch entstand im Rahmen eines Seminars an der Universität Zürich), es sind also ausschließlich Frauenstimmen, die diese doch eher auf den Mann ausgerichtete mittelalterliche Welt wieder zum Leben erwecken.

Arno Schmidt schrieb einmal vom "panzerhaft dröhnenden Klang" der mittelhochdeutschen Dichtung, sie sei eingekleidet in den "groben Schuppenpanzer der kurzen klappenden Reimpaare", bei so einem "pompösem Platzkonzert" und einer solchen akustischen Anmaßung könne von Wohlklang doch wohl kaum die Rede sein. Passen Frauenstimmen überhaupt in eine derartig martialisch dröhnende Männerwelt, wie sie Arno Schmidt heraufbeschwor? Er wäre wohl sehr erstaunt gewesen, wie geschmeidig und melodisch Mittelhochdeutsch klingen kann, wenn es von jemandem vorgetragen wird, der wirklich Ahnung davon hat. ;-) Die zehn Frauenstimmen sind ihrer Aufgabe bestens gewachsen, nicht nur in Passagen, in denen auf mittelhochdeutsch Enites Schönheit oder die Liebe zwischen Erec und Enite geschildert werden, sondern auch dann, wenn ein krächzender Zwerg oder wütende Riesen mittelhochdeutsch daherreden.

Die zehn Stimmen erzählen in geraffter Form und in heutigem Deutsch die Handlung des Romans nach, wobei die jeweils erzählende Stimme gelegentlich durch eine dazwischenfragende oder ironisch kommentierende Stimme unterbrochen oder vielmehr ergänzt wird, manchmal ertönt auch eine singende Stimme und gelegentlich erklingen eben auch die wunderbaren und fremdartig schönen Verse des mittelhochdeutschen Originals. Im 32seitigen Beiheft sind die vorgetragenen mittelhochdeutschen Texte inklusive neuhochdeutscher Übersetzung abgedruckt. Außerdem erfährt man im Beiheft noch einiges zum Roman, zum Autor und zur Entstehung dieses Hörbuchs.

Das Hörbuch entstand an der Universität Zürich, es sind also vermutlich alles Schweizerinnen, die dort sprechen, man hört bei fast allen Stimmen den charakteristischen Schweizer Akzent heraus, aber nur sehr schwach, keineswegs störend, für mich klingt das im Gegenteil sogar sehr sympathisch. Die Deutschschweizer sprechen in der Regel kein Schriftdeutsch als Muttersprache, sondern sie wachsen mit der alemannischen Mundart auf, die noch wesentlich mehr Gemeinsamkeiten mit dem Mittelhochdeutschen bewahrt hat als die neuhochdeutsche Schriftsprache. Außerdem sind sie daran gewöhnt, zwischen deutschen Dialekten zu wechseln, nämlich zwischen ihrer Mundart und dem Standarddeutschen. Deswegen haben die Schweizer Sprecherinnen einen Vorteil, wenn sie Mittelhochdeutsch sprechen wollen. Lernen mußten sie das vorher natürlich trotzdem erst einmal. Aber es klingt wirklich wunderschön, von klappernden Reimen oder fehlendem Wohlklang kann da keine Rede sein.

Mir hat das Hörbuch sehr gut gefallen, aber ob es auch Leuten gefallen würde, die sich eigentlich überhaupt nicht für mittelhochdeutsche Dichtung interessieren, weiß ich nicht. :-) (Wolf)

Button gibt es weiterführende Informationen zum Hörbuch auf Internetseite des Hochschulverlags.

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© 2002 Hoerbuecher4um, erstellt am 12.01.2006, letzte Änderung am 05.03.2006, Layout by abrakan