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Rezension

Cover Tristram Shandy
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Bewertung:
(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Inhalt:  

Der Roman

Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman, so lautet in deutscher Übersetzung der vollständige Titel des Romans, der in den Jahren von 1759 bis 1767 in neun Bänden erschien, und mit dem der lebenslustige Pfarrer und Schriftsteller Laurence Sterne seinen literarischen Weltruhm begründete. Ein so heiteres, einfallsreiches, skurriles, verspieltes, witziges, mitreißendes und herzerfrischendes Buch hatte die Lesewelt bis dahin noch nicht gekannt. »Ich habe diese Tage wieder in Sterns Tristram hineingesehen« schrieb Goethe 1830 in einem Brief, und er fuhr fort: »Mit den Jahren nahm und nimmt meine Bewunderung zu ... Ich kenne noch immer seines Gleichen nicht in dem weiten Bücherkreise.«

Den Inhalt des Romans kann man unmöglich in wenigen Worten zusammenfassen, denn der Titelheld und Ich-Erzähler Tristram Shandy versucht zwar eine Beschreibung seines eigenen Lebens zu liefern, aber in seinem Bestreben, alles ganz genau zu erklären und der geneigten Leserschaft alle Hintergründe zu erläutern, verwickelt er sich in immer neue Detailbetrachtungen und Abschweifungen, die ihm nur wenig Gelegenheit lassen, seine eigene Lebensgeschichte zu erzählen:

»... und im Ernst, ich habe ohnedem schon alle Hände voll zu tun -- Versprach ich nicht der Welt ein Kapitel über Knoten? zwei Kapitel über das richtige und das falsche Ende einer Frau? ein Kapitel über Knebelbärte? ein Kapitel über Wünsche? -- ein Kapitel über Nasen? -- Nein, das habe ich bereits geliefert -- ein Kapitel über meines Onkel Toby's Züchtigkeit? gar nicht zu reden von einem Kapitel über Kapitel, das ich noch vor dem Schlafengehen beenden will -- bei meines Urgroßvaters Knebelbart, nicht mal die Hälfte davon werde ich heuer fertigbringen.«
(Zitiert nach der Übersetzung von Michael Walter)

Besonders eingehend werden Tristrams Vater Walter Shandy und Tristrams Onkel Toby geschildert, zwei kauzige, aber liebenswerte Figuren. Walter Shandy fühlt sich durch und durch als Philosoph, er entwickelt merkwürdig versponnene Gedankensysteme, beispielsweise über die Einflüsse der Taufnamen und der Nasengröße auf das Leben eines Menschen, und er unterhält sich leidenschaftlich gern mit anderen über seine aberwitzigen Theorien. Onkel Toby ist ein herzensguter Mensch, der buchstäblich keiner Fliege etwas zuleide tun kann, dennoch interessiert er sich für die Kriegskunst, genauer gesagt für die Belagerungskunst, er sammelt Bücher über das Fortifikationswesen und Berichte über Belagerungen, und zusammen mit seinem Diener, Korporal Trim, baut er in einem Teil des Gartens kleine Modelle von Festungen, inklusive Schanzwerken, Verteidigungsgräben und Bollwerken, die dann mit aus Dachrinnen gebastelten Spielzeugkanonen nach allen Regeln der Kunst belagert werden, wobei ein Paar alte Stulpenstiefel als schwere Mörser fungieren. Tristrams Onkel und Tristrams Vater leben also in ihrer jeweils eigenen Welt, woraus zahlreiche komische Situationen entstehen. Aber wie schon Jean Paul richtig anmerkte, sind alle Lächerlichkeiten im Tristram »Lächerlichkeiten der Menschen-Natur, nicht zufälliger Individualität«. Als Leser lacht man nicht über die schrulligen Figuren, sondern man lacht mit ihnen, weil man sie als seinesgleichen erkennt und sich ihnen verbunden fühlt.

Das Hörbuch

Diesen wunderbaren Roman gibt es nun auch als ungekürztes Hörbuch, gelesen von Harry Rowohlt, der nicht irgendeine Übersetzung vorliest, sondern die mit Abstand beste aller deutschen Übersetzungen des Tristram Shandy: die Übersetzung von Michael Walter, die nicht nur den Inhalt möglichst genau ins Deutsche überträgt, sondern die auch im Ton und Duktus dem Original so gut nachempfunden ist, daß man tatsächlich beinahe glauben könnte, Laurence Sterne selbst hätte das so auf deutsch geschrieben. Auch die vielen witzigen Zweideutigkeiten, für die dieser Roman berühmt ist (»Hochpornograph« wird Laurence Sterne deshalb im Hörbuch-Booklet genannt), werden in dieser Übersetzung nicht unterschlagen; manche dieser raffiniert verschlüsselten erotischen Anspielungen bemerkt man erst, wenn man genauer darauf achtet; andere dagegen kann man gar nicht übersehen, weil man vom Autor mit der Nase darauf gestoßen wird.

Eine der Besonderheiten des Tristram Shandy sind die typographischen und gestalterischen Eigentümlichkeiten, so gibt es beispielsweise eine geschwärzte und eine marmorierte Seite, gezeichnete Kringellinien sowie diverse Symbole, etwa ein Kreuzzeichen oder eine Hand mit ausgestreckten Finger, die als Hinweiszeichen dient. So etwas kann man natürlich nicht vorlesen, aber dieses Problem hat man sehr gut und einfallsreich umschifft, beispielsweise wurde das gedruckte Hinweiszeichen durch ein hörbares Klopfzeichen ersetzt; die Linien, die im 6. Band den Verlauf der Geschichte symbolisieren sollen, wurden mit einem Stift nachgezeichnet, man hört also die Kratzgeräusche des Stiftes (oder der Feder) auf dem Papier. Die Stelle, an der die schwarze Seite vorkommt, hat man ans Ende einer CD gelegt, was der Funktion dieser Seite im Roman durchaus ganz gut entspricht. Einige der drucktechnischen Besonderheiten wurden auch einfach stillschweigend übergangen, wie etwa das Kreuzzeichen, das an einer Stelle erscheint, wo sich jemand bekreuzigt. Im ausführlichen Beibuch zum Hörbuch wird übrigens auch auf die erwähnten typographischen Besonderheiten eingegangen, und der Hörer kann sich anhand einiger Fotos auch ein Bild davon machen.

Nun machen diese typographischen Besonderheiten aber nur einen kleinen Teil des Reizes dieses Romans aus, und der Nachteil, den man hier als Hörer gegenüber dem Leser hat, wird durch einen anderen Vorteil wieder mehr als wettgemacht: Die teilweise sehr langen und verschachtelten Sätze dröseln sich beim Hören wie von selbst auf. Harry Rowohlt bringt durch seinen souveränen Vortrag den scherzhaften und ungezwungen dahinfließenden Plauderton des Tristram voll zur Geltung. Harry Rowohlt zieht den Hörer in den Roman hinein, man sitzt fröhlich zusammen mit Walter Shandy und Onkel Toby im Familienzimmer vor dem Kamin und hört den beiden zu. Auch die wechselnden Stilarten des Romans werden in dieser Lesung deutlich hörbar, glänzend gelesen ist die Passage mit dem Ehevertrag, wo in verschnörkelten Formulierungen die Juristensprache parodiert wird. Ein weiterer witziger Höhepunkt ist der ellenlange lateinische Fluch (im 3. Band), der in einer Art liturgischem Sprechgesang vorgetragen wird. Da hier gerade von Latein die Rede ist: Im Roman kommen etliche fremdsprachige Namen und in Fußnoten auch längere lateinische und französische Passagen vor. Weil die von Harry Rowohlt alle ganz ausgezeichnet vorgelesen wurden, wie ich finde, möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß man sich dafür eigens eine Sprachbetreuung geleistet hat, wie man dem Beibuch entnehmen kann (Französisch: Cathérine Boivin, Lateinisch und Griechisch: Bernd Wascher). In diesem und anderen Details zeigt sich, mit welcher Sorgfalt dieses Hörbuch produziert worden ist. Der lateinische Fluch wird einem übrigens im Roman auch in Übersetzung geboten, man braucht also als Lateinunkundiger keine Angst zu haben, daß einem da inhaltlich etwas Wichtiges entgeht, sondern kann sich an dem Sprachklang erfreuen.

Auch die Ausstattung des Hörbuchs ist lobenswert: In einem Schuber befinden sich die 22 CDs unterteilt in neun Packungen (neudeutsch: »Digipacks«), die den neun Bänden des Romans entsprechen. Als Coverbilder werden die wunderschönen Zeichnungen von Tatjana Hauptmann verwendet, die auch schon die Schuber der Erstausgabe der Übersetzung von Michael Walter verzierten. Im 45seitigen Hörbuch-Booklet erfährt man viel Wissenswertes über den Roman und seinen Autor. Die Trackeinteilung der CDs entspricht den einzelnen Kapiteln des Romans. Da die Kapitel in der Regel recht kurz sind, ergeben sich dadurch meist Tracklängen von 5 bis 10 Minuten. Nur »Slawkenbergius' Erzählung« im 4. Band ist mit gut 57 Minuten Länge ein dicker Ausreißer; diesen langen Track hätte man besser in mehrere kleine unterteilen sollen.

Fazit

Alles in allem ist das ein rundum gelungenes Hörbuch, das allen ans Herz gelegt sei, die einen Sinn für humorvolle und ironisch-verspielte Erzählkunst haben. Gleich zu Anfang seines Romans weist der Autor darauf hin, daß dies unvollkommene Dasein jedesmal bereichert wird, wenn ein Mensch lächelt, und noch mehr, wenn er lacht. Zum Lächeln und zum Lachen gibt die vortreffliche Tristram-Lesung von Harry Rowohlt reichlich Gelegenheit. Wer den Tristram Shandy noch nicht kennt, hat hier die beste Gelegenheit ihn kennenzulernen, und diejenigen, die den Tristram bereits gelesen haben, sollten nicht zögern, ihn auch hörend zu genießen, denn dieser Roman ist viel zu gut, um ihn nur gelesen zu haben. (Wolf)

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© 2002 Hoerbuecher4um, erstellt am 01.01.2007, letzte Änderung am 20.01.2007, Layout by abrakan