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(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze) |
Inhalt:
Anlässlich des 80. Geburtstags von Siegfried Lenz erschien der Sammelband
"Erzählungen" in dem erstmalig alle seine Erzählungen enthalten sind - auch
50 bislang nicht in Buchform erschienene. Aus diesen Erzählungen hat der Herausgeber Hanjo Kesting eine gründliche Auswahl für dieses Hörbuch
getroffen - auch hier einige der bislang nicht in Buchform veröffentlichten.
Nachstehend die Auswahl für dieses Hörbuch:
Mitwisser |
Der Leseteufel |
Das war Onkel Manoah |
Hinter der Fliegenschnur. Eine spanische Geschichte |
Die Stimmungen der See |
Lieblingsspeise der Hyänen |
Der Anfang von etwas |
Die Lampen der Eskimos oder Die Leiden eines Spezialisten |
Die Gleichgültigen. Sechs Erzählungen |
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Einführung zu "Die Gleichgültigen" |
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Der Verzicht |
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Der Gleichgültige |
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Beim Staatsbesuch |
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Etappen eines Fiaskos |
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Ball der Wohltäter |
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Schwierige Trauer |
Der Sohn des Diktators |
Der Spielverderber |
Sonntag eines Ranchers oder Das Glück der Rocky Mountains |
Ihre Schwester |
Das Schlüsselwort |
Der Beweis |
Nachzahlung |
Meine Meinung:
Mitwisser ist die erste Erzählung auf diesem Hörbuch. Ein erstes Mal
erklingt Siegfried Lenz' Stimme. Liest ein Autor selbst, habe ich meist Zweifel ob dies eine gute Entscheidung ist. Einerseits kennt zwar niemand
den Text besser als der Autor selbst, weiß niemand besser diesen Text zu lesen und zu interpretieren. Andererseits
ist ein Autor aber kein professioneller Sprecher. Wird sich z. B. sich zu sehr konzentriert gescheit
zu lesen, wird oftmals auch nicht mehr viel interpretiert - auch nicht vom Autor selbst. Es bleibt allzu oft bei einem stumpfem leblosem Vortragen. Das
wird dem Zuhörer hier glücklicher Weise erspart. Siegfried Lenz feuert in dieser Erzählung nahezu die Sätze ab, aber mit Schalldämpfer, durch seine
ruhige besonnene Art. Sie schlagen leise ein, haben aber eben solch eine fatale Wirkung wie ein lauter Schuss. Nur kommt durch die Sanftmut der
Überraschungsmoment hinzu. Man rechnet nicht damit, dass solch eine warme Stimme treffen kann. Doch das
tut sie, denn die Sätze sind messerscharf. Der Mitwisser hat etwas gesehen, das niemand wissen sollte und
wird gnadenlos gejagt. Als Zuhörer dieser Hetzjagd fühlt man sich selbst bald als
Mitwisser, so intensiv werden die Szenen geschildert und - was ich freudig
zur Kenntnis genommen habe - gesprochen.
Ob Lenz diese Intensität in seinen Erzählungen und in seiner Leistung als Sprecher halten kann? Kann er - aber
ganz gewiss! Schon in der zweiten Erzählung Der Leseteufel zeigt er sich wieder sehr bedacht und doch
eindringlich. Aber diesmal auf eine andere, humorvolle Weise. Mit einem Augenzwinkern ist die Geschichte
geschrieben und mit einem Augenzwinkern ist sie auch gesprochen. Ganz zum Schluss kann man den
vortragenden Siegfried Lenz beinahe lächeln sehen. Und auch hier fehlt nicht der Tiefgang. Es ist
nicht nur eine amüsante Erzählung, sondern sie berührt das Herz eines jeden
passionierten Lesers: Lesen kann nahezu alle Grausamkeiten des Lebens vergessen machen. Wunderschön erzählt, wie einer dem Lesen verfallen ist und
allein durchs Lesen alles Geschehen um sich herum auszublenden vermag.
Hinter der Fliegenschnur gehört meine ganz besondere Bewunderung. Allein
schon der Titel. Was genau ist eine Fliegenschnur. Unter uns gesagt: weit weniger mysteriös, als der Unwissende denken mag. Und was hinter der
Fliegenschnur liegt, ist ein Ort, der allen bekannt sein sollte. Er ist keineswegs mystisch. Und doch erscheint
uns der Ort hinter der Fliegenschnur, den Siegfried Lenz hier unnachahmlich eindringlich schildert,
geheimnisvoll. Man stelle sich vor: Ein Ort der Ruhe inmitten geschäftigen Treibens, ein Ort des stillen
Einverständnisses und der Vertrautheit inmitten der Fremde. Ein Ort, wo Menschen keine Namen brauchen, um
ihre Anonymität zu verlieren und im Gedächtnis zu bleiben. Ein Ort, der nicht von
dieser Welt ist? Ja, so scheint es fast. Dabei ist es ein nahezu gewöhnlicher Ort. Siegfried Lenz fängt den ganz eigenen Zauber dieses Orts
ein. Er umwittert ihn mit einem Geheimnis, in dem er in durch die Fliegenschnur vom Rest der Welt abtrennt. Und tatsächlich hat der Zuhörer
nach dem Aufenthalt am Ort hinter der Fliegenschnur das Gefühl, zurückzukehren in die Welt. Ausgeruht, erholt und geheilt, durch einfachste
Begegnungen und Begebenheiten, durch einsam sein inmitten von Menschen. Kunstvoll hat Siegfried Lenz die namenlosen Figuren skizziert, sie
durch Charakterisierung der Anonymität enthoben, eindringlicher als Namen und
Beschreibungen von reinen Äußerlichkeiten es je könnten. Und das beste, es
ist nicht Effekthascherei, sondern an diesen Ort gehören namenlose Menschen,
die doch nicht fremd wirken. Dieses einfangen eines Orts und seiner Eigenheiten und
"Gesetzmäßigkeiten" hat mich tief beeindruckt.
Ich könnte so weiter durchs Hörbuch gehen und jede einzelne Erzählung entsprechend würdigen. Doch das
würde selbstverständlich den Rahmen sprengen. Die von Hanjo Kesting getroffene Auswahl empfinde ich als
sehr gelungen. Siegfried Lenz in all seinen Facetten. Ernst, hintergründig,
humorvoll, eindrucksvoll und immer warm. Wundervollste Miniaturen, mit unnachahmlicher Wort- und Satzeleganz geschrieben und mit
sprachverliebter, charismatischer Stimme erzählt.
Loben möchte ich auch das informative Booklet. Leider keine Selbstverständlichkeit, dass der Hörer
genauestens informiert wird, welche Erzählung sich über welche CDs und Tracks erstreckt. Besonders schön
fand ich, dass sich Mühe gegeben wurde in folgenden Punkten: Entstehungs-Jahr der
Erzählung, Erstdruck, erste Buchausgabe in der die Erzählung enthalten war,
ob und wo die jeweilige Erzählung in der Werkausgabe zu finden ist, falls unter verschiedenen Titeln gedruckt bzw. ausgestrahlt, so sind diese auch
benannt. Und nicht zuletzt der Zeitpunkt der Aufnahme und/oder Erstsendung -
womit klar wird, dass Siegfried Lenz diese Erzählungen zum Großteil in den
50er und 60er Jahren gesprochen hat. Diese Informationen werden zudem sehr strukturiert und somit übersichtlich dargeboten. So wünsche ich mir das!
Noch einen Wunsch habe ich: Ich habe gehört, dass ein zweiter Teil mit
weiteren Erzählungen geplant ist. Ich wünsche mir, dass es wahr wird! Siegfried Lenz' Erzählungen sind eine Schatzkammer, die man immer wieder
öffnen möchte. (Petra)
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