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(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze) |
Inhalt:
Siggi Jepsen sitzt eingesperrt, mit
Gittern vor den Fenstern, in der Jugendstrafanstalt da und schaut verträumt
den Schiffen nach. Nachdem er für den Deutschlehrer und den
Anstaltsleiter anscheinend die Arbeit verweigert hat, wird ihm nun, in
aller Abgeschiedenheit und damit Einzelhaft die Möglichkeit gegeben 'Die
Freuden der Pflicht', das Aufsatzthema, in der Breite zu würdigen, die er
für nötig hält. Sein Vater, Jens Ole Jepsen hatte sich dem Jungen
schon im Unterricht sofort als Paradebeispiel aufgedrängt, doch die
vielen Erinnerungen konnte er dort nicht kurz und bündig zusammenfassen,
sie benötigen eine umfangreiche Erläuterung:
Der diensteifrige Polizist in Rugbüll, Nordfriesland erhält im Jahre
1943 den Auftrag, die Einhaltung des Malverbotes, das dem Künstler Max
Ludwig Nansen gilt, zu überwachen. In der Jugend waren beide befreundet.
Damals hatte Max seinem Freund Jens Ole sogar einmal das Leben gerettet.
Was im Sinne von 'Wat mut, dat mut' beginnt, wächst sich zu einer
unbarmherzigen, beinahe paranoiden Verfolgung des ehemaligen Freundes und
Lebensretters aus.
Der Vater fordert von Siggi eindringlich Loyalität, diese kann Siggi
jedoch nur seinem Freund, dem Maler, entgegen bringen, weil der sich um
ihn sorgt, kümmert und ihn versteht. Das heißt er verweigert passiv die
Mithilfe bei der Überwachung des Malers.
Siggi gerät jedoch nicht nur zwischen diese Fronten. Das unbarmherzige
Verhalten seiner Mutter ist beinahe noch schwerer zu ertragen. Nachdem
Siggis Bruder Klaas seine Hand opferte, um dem Militär zu entkommen, hat
die Mutter für diesen Sohn keinerlei Platz mehr in ihrem Haus. Sie ist
sogar bereit, diesen Sohn an die Militärpolizei auszuliefern.
Siggi entfernt sich immer mehr von seinem Elternhaus und wird zum Verbündeten
des Malers. Er versucht Nansen zu schützen, warnt vor Polizeibesuchen und
hilft Bilder zu verstecken.
In den Einblendungen der Rahmenhandlung muss Siggi, nachdem er schon
mehrere Monate lang an seiner Strafarbeit sitzt, darum kämpfen, dass er
diese weiterführen und beenden darf. Denn der Sinn, den er in dieser
Arbeit sieht, die für ihn nunmehr die Freuden der Pflicht verkörpern,
kann zunächst weder vom Anstaltsleiter noch von seinen Freunden
verstanden werden. Er beginnt darin sein bisheriges Leben zu verarbeiten
und diese Arbeit muss er vollenden, um sich selbst zu helfen.
Auch als das Malverbot längst nicht mehr besteht, sind die Personen noch
immer in dieser Situation gefangen. Weiterhin wird Nansen vom Vater
verfolgt und vom Sohn beschützt.
Die Familiensituation wird ebenfalls nicht herzlicher. Hilke, Siggis
Schwester, fällt in Ungnade als entdeckt wird, dass sie dem Maler Modell
gestanden hat. Der Gipfel ist erreicht, als Siggi sich zum Beschützer der
Bilder aufschwingt. Er stiehlt Bilder, damit sie vor dem Vater sicher
sind. Im Geiste sieht er die Bilder bedroht vom Vater, schließlich hat
der auch Siggis Mühle in Brand gesteckt, Siggis Versteck für eine eigene
Bildersammlung.
Dass es sich dabei um Diebesgut, entwendete Bilder von Max Ludwig Nansen
handelt, erkennt Siggi nicht. Der Maler, Siggis einziger Freund, der
Mensch, der ihm Verständnis und Hilfe entgegenbringt, lässt ihn nicht
mehr ins Atelier und Siggi hört keine Alarmglocke läuten.
Siggis Vater, der Polizeiposten Rugbül, ermittelt letztendlich auch
gnadenlos gegen sein letztes Kind, als er einen Bilderdiebstahl aufklären
muss. Er will Siggi zur Strecke bringen und Siggi wird schließlich in die
Jugendstrafanstalt auf der Elbinsel eingesperrt. Von Beginn an ist Siggi
davon überzeugt, dass eigentlich seinem Vater die Strafe gebührt hätte.
Diese Einstellung ändert sich weder durch den Aufenthalt auf der Insel
noch durch den Aufsatz, aber die Verarbeitung der Situation hilft ihm,
wieder in ein richtiges Leben zurückzukehren.
Meine Meinung:
Die ersten Sätze sind verklungen, und
schon habe ich das Gefühl, die richtige Version des Hörbuches gewählt zu
haben.* Denn der Sprecher, Reiner Unglaub, könnte nicht passender gewählt
sein. Er hat das richtige Tempo, dass man die Sätze genießen kann, und
die richtige neutrale Aussprache für den Erzähler Siggi. In der wörtlichen
Rede spricht er friesisches Platt, dies jedoch verständlich und mit der
passenden Resignation oder Lebendigkeit, die zu den Figuren passt. Dieser
erste Eindruck hat mich überzeugt, dass ich 12 Wortcassetten lang
durchhalten werde, ohne mich zu langweilen.
Reiner Unglaub versetzt mich in den richtigen Hörbann und trotzdem steht
der Text im Vordergrund und nicht der Sprecher.
Besonders die Lesegeschwindigkeit ist wohltuend. Ohne Langeweile aufkommen
zu lassen, ist es so langsam, dass die Sätze nachklingen und die
Betonungen wirken. Dieses Sprachtempo unterstreicht ebenfalls das typisch
Friesische, dem Hektik eher fremd ist. Erst als die Schnelligkeit auch
angebracht ist, z.B. in den Verfolgungsszenen am Ende, wird auch diese
glaubhaft umgesetzt.
Das Buch habe ich vor gut 20 Jahren gelesen, Reiner Unglaub ermöglicht
mir eine glänzende Wiederbelebung meiner Erinnerungen.
Vielleicht macht die Darstellung der friesisch herben Landschaft, von
Wind, Wasser, Möwen, Ruhe und Häusern einen großen Teil meiner
Faszination an diesem Buch und Hörbuch aus, da ich diesem Landstrich auch
sehr zugetan bin. Das trockene, teilweise trostlose und widerspenstige der
Landschaft spiegelt sich auch in den Figuren. Niemand ist wirklich
offenherzig, witzig oder überaus freundlich - trotzdem sind Siggi oder
der Maler sympathische Figuren.
Die vielen Details, die Lenz einbringt, prägen die Darstellung und die
Bilder, die im Kopf entstehen: Möwen sind nicht einfach Möwen, sondern
Kaisermöwen, Haubenmöwen oder welche Arten es sonst noch gibt. Damit der
Leser (oder hier der Hörer), in die Lage versetzt wird, Personen oder
Situationen genau zu verstehen, werden sie bis ins letzte Detail
geschildert. Diese Ausführlichkeit ist manchmal schwer zu ertragen,
gemildert wird dieser Effekt durch den Sprecher, der es versteht die
Spannung wach zu halten.
Meine Lieblingsfigur ist der Maler. Seine Ruhe, mit der er den
Provokationen und Verfolgungen seines ehemaligen Freundes Jens Ole
begegnet, beeindruckt mich. Seine Menschlichkeit, die sich schon darin
beweist, dass er Klaas aufnimmt, als der sich verstecken muss, nötigt mir
Respekt ab. Er kümmert sich um alle Kinder von Jepsen, obwohl dieser ihn
verfolgt.
Er hilft sich selbst, indem er Bilder nur in seinen Gedanken malt und
davon redet wie von realen Bildern, dies sind die unsichtbaren Bilder, von
denen häufig die Rede ist. Eine einfache aber glänzende Idee, die den
phantasielosen Polizisten beinahe zur Verzweiflung bringt.
Auch seine Farben werden zu Synonymen für Ideen. Seine Analogien zwischen
den Farben und der Weltpolitik, die er für Siggi im Gespräch entwickelt,
sind genial.
Mit Beklemmungen denke ich an die Figur des Vaters, die dritte Hauptperson
des Buches. Einige Ähnlichkeiten zu meinem pflichteifrigen Beamten-Vater
sind mir dabei immer bedrohlich im Kopf herumgegangen. Ich hätte nur zu
gern einmal darüber mit ihm geredet, wie weit sein Pflichtbewusstsein in
einer solchen Situation wohl gegangen wäre. Und ich hoffe dabei das
Beste.
Die fehlende Menschlichkeit in der Familie hat mich oft wütend gemacht.
Diese Eltern, die Lenz da geschaffen hat, sind wirklich zum Fürchten,
obwohl sie die Kinder versorgen, kann sich niemand zu solchen Eltern
hingezogen fühlen. Die Gefühlskälte ließ mich erfrieren. Siggis
Resignation und die seiner Geschwister ist daher nur zu verständlich.
Wie sollen mit diesem Hintergrund liebevolle und hoffnungsvolle Menschen
in die Welt entlassen werden?
Dieses eher düstere Bild führt auch zu einem etwas mulmigen Gefühl,
dieses Buch uneingeschränkt zu empfehlen. Aber nicht jeder Hörer ist, so
wie ich, dem Wahn verfallen, dass immer alles tendenziell gut ausgehen
sollte.
Der Eindruck vom Anfang, dass der Sprecher genau der Richtige ist, musste
zu keinem Zeitpunkt korrigiert werden. Ihm allein ist es zu verdanken,
dass ich die 1140 Minuten durchgehalten habe. Seine glänzende Umsetzung
der einzelnen Charaktere, vom Maler über den Vater oder auch die
Frauenfiguren, sowie die glaubhafte Inszenierung der Situationen, ist so
gelungen, dass es ein reiner Genuss war, ihm lauschen zu dürfen. (Binchen,
April 2003)
* Es gibt auch noch eine Hörbuchproduktion mit Siegfried Lenz selbst
als Sprecher.
geht es zu einem Interview mit dem Sprecher Reiner Unglaub!
geht es zu einem Verlagsportrait, in dem es interessante Infos zum
Sprecher Reiner Unglaub gibt!
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