|
Kategorie: |
|
Genre: |
|
SprecherInnen: |
|
Regie: |
|
Medium: |
|
Laufzeit: |
|
Verlag: |
|
Preis: |
|
ISBN: |
|
Bewertung: |
(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze) |
Inhalt / Meine Meinung:
Was tun, wenn ein Dichter, dessen Werk zu Lebzeiten nicht anerkannt wurde, eine Truhe mit mehr
als 27.000 Manuskript-Blättern hinterlässt. Eine lose Blattsammlung, in der er still und heimlich
großartigste poesievollste Gedanken in einzigartiger sprachlicher Schönheit festgehalten hat.
Betrachtungen und Beobachtungen, die durch Melancholie und Scharfsichtigkeit bestechen und in der
Gesamtheit ein Ganzes bilden und dennoch lose Gedanken bleiben. Da hilft nur eins: So weit wie
möglich ordnen und zusammenstellen.
In seinen Text-Fragmenten spricht Pessoa stets durch seine literarischen Alter Egos, von denen
Bernardo Soares - der Hilfsbuchhalter - einer ist, der im "Buch der Unruhe" allabendlich seine
Gedanken niederschreibt. Tagsüber geht er seinem Beruf der Ordnung nach, während abends in seinem
Kopf das Chaos tobt, in Anbetracht einer undurchschaubaren Welt, in der alles vergebens
scheint. Soares empfindet sich selbst - so vertraut er dem "Buch der Unruhe" an - als Träumer,
der vom Leben nichts anderes wünscht, als dass es an ihm vorbeiziehe. Er (wobei hier Soares mit
Pessoa gleichbedeutend ist) verliert sich in seine Träumereien, Gedanken, Beobachtungen und
Betrachtungen, zum Glück derer, denen er diese Texte hinterlassen hat - einer
großen Leserschaft.
An "Das Buch der Unruhe" schrieb Fernando Pessoa - immer abends nach Dienstschluss - rd. 20 Jahre,
allerdings mit Unterbrechungen. Er selbst war kein Hilfsbuchhalter sondern
Handelskorrespondent, lebte aber ähnlich zurückgezogen und bescheiden wie Bernardo Soares.
Die portugiesische Ausgabe (erst rd. 50 Jahre nach Pessoas Tod erstmalig veröffentlicht), wurde
zunächst nur zum Teil - vom Züricher Ammann Verlag - in die deutsche Sprache übersetzt. Später
brachte der Ammann Verlag eine Neuausgabe heraus, in der zahlreiche Fragmente ergänzt wurden, die
in der ursprünglichen Ausgabe fehlten. Diese Neuausgabe ist dicht an die aktuellste
portugiesische Ausgabe angelehnt, was Umfang und Anordnung angeht.
Dass nun in dem hier vorliegendem Hörbuch wiederum viele Texte fehlen (das Buch umfasst rd. 600
Seiten - hier liegt ein Hörbuch mit 4 CDs Umfang vor), darf man weniger als Kürzung betrachten,
als bei einem gewöhnlichen Hörbuch. Schließlich bleiben es Fragmente, die ein Bild - eine
Innenansicht - wiedergeben. Die Hörbuchfassung stammt von Egon Ammann, dem man als Verleger
Pessoas zutrauen darf, dass er gewissenhaft und mit Sachverständnis vorgegangen ist.
Man darf sich diese Fragmente als inneren Monolog vorstellen. Führt man den mit sich - rein
gedanklich oder schriftlich - vernimmt man seine eigene geistige Stimme. So scheint es nahe zu
liegen, dass sich der Text gut zur Lesung eignet. Ganz besonders, wenn hierfür mit Bedacht ein
reifer, ruhiger, exzellenter Sprecher wie Udo Samel ausgesucht wird, der seine Sache erwartet
brillant macht und sowohl die Scharsinnigkeit als auch Melancholie Pessoas exakt wiedergibt.
Dennoch handelt es sich hier um ein schwieriges Unterfangen, mit dem Der Audio Verlag Mut
bewiesen hat. Denn eins ist klar: Pessoas Gedanken sind so umfassend und vieldeutig, seine
Sprache so ausgewählt, poetisch und kunstvoll, dass es schwer ist, diese per Stimme
zu transportieren. Wenn es einer kann, dann Udo Samel. Aber die Grenzen sind dort gesetzt, wo die
Aufnahmefähigkeit des Hörers endet. Das Buch hat dem Hörbuch gegenüber immer den Vorteil, dass
nicht ein Sprecher das Tempo vorgibt, sondern der Leser es selbst bestimmt, das Buch zur Seite
legen kann, bis sich die Gedanken - die Pessoa permanent auslöst - gesetzt
haben. Denn im Grunde könnte und müsste man über jeden einzelnen Satz nachsinnen. Dazu lässt das Hörbuch
von Natur aus keine Zeit, und sei Udo Samels Vortrag noch so ruhig, ausdrucksstark und angemessen.
Doch was tun? Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, wäre gar kein Hörbuch über "Das Buch der
Unruhe" zu machen und das ist keine akzeptable Lösung. Deshalb hier an dieser Stelle an alle
potentiellen Hörer dieses Hörbuchs ein Appell: Bitte mit diesem Hörwerk bewusst umgehen und Zeit
dafür nehmen. Nicht nebenbei hören - das funktioniert nicht! Es eignet sich hingegen sehr, sich
in aller Ruhe hinzusetzen und mit Pessoa und dessen "Freund" Soares über die Welt, die Menschen,
das Leben nachzusinnen. Die Stop-Taste griffbereit, um den Passagen die Möglichkeit zur
Entfaltung zu geben. Wundervoller als von Udo Samel kann man sich nicht durch diese Fragmente
begleiten lassen. Ich möchte dieses Hörerlebnis nicht missen, auch wenn ich jetzt erst
recht auf das ganze "Buch der Unruhe" und Pessoas gesamtes Werk neugierig geworden bin. Und warum nicht
mehr von ihm - anschließend - lesen? Denn schließlich sagte Fernando Pessoa selbst: "Die
Literatur ist die angenehmste Art, das Leben zu ignorieren." Wie recht er hat!
Ein kurzer Hinweis noch zum booklet: Dort steht alles wichtige über die Entstehung von "Das Buch
der Unruhe" und den portugiesischen Dichter drin. Kurzgefasst, so dass es sich aufschlussreich und
interessant liest und nicht ermüdend wirkt. Ich möchte unbedingt empfehlen, vor dem Hören das
booklet zu lesen, zur Verdeutlichung, dass es sich hier um Fragmente handelt und welche
Intentionen Pessoa hatte. Leser dieser Rezensionen wissen zwar jetzt darüber bescheid, aber diese
Eindrücke könnten bis zum Hören verblassen und dann steht man etwas ratlos vor diesem inneren
Monolog, der keinen Plot hat und auch bitte keinen haben soll, nicht umsonst wird diese innere
Ausmessung auch Biographie ohne Ereignisse genannt! Und genau hierin begründet sich die
Außergewöhnlichkeit von Pessoas Texten. Schön wäre eine akustische kurze Einleitung vor
dem eigentlichen Hörbuch gewesen. Aber das booklet reicht, wenn man es weiß, vollkommen dazu aus.
Fazit: Eine einzigartige und außergewöhnliche Vorlage, deren Umsetzung im Hörbuch ebenso mutig
wie gelungen ist! (Petra)
Ergänzung: Zum Schluss noch zwei kleine Appetizer aus Pessoas Werk:
"Was uns zugestoßen ist, ist entweder allen zugestoßen oder uns allein; im
einen Falle ist es keine Neuigkeit, im anderen unverständlich."
"Vielleicht ist es mein Schicksal, ewig ein Buchhalter sein zu müssen, und
Dichtung und Literatur sind ein Schmetterling, der sich auf meinen Kopf niederlässt und mich um so lächerlicher erscheinen lässt, je größer
seine Schönheit ist."
|
gibt es weitere Appetitanreger (Zitate) aus dem Buch der Unruhe. |
|