Rezension |
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Inhalt: „Er stand vor dem Tor des Tegeler Gefängnisses und war frei. Gestern hatte er noch hinten auf den Äckern Kartoffeln gehackt mit den anderen, in Sträflingskleidung. Jetzt ging er im gelben Sommermantel. Sie hackten hinten, er war frei. [...] Der schreckliche Augenblick war gekommen. – Schrecklich, Franze, warum schrecklich? – Die vier Jahre waren um. Die schwarzen eisernen Torflügel, die er seit einem Jahr mit wachsendem Widerwillen betrachtet hatte – Widerwillen, warum Widerwillen? – waren hinter ihm geschlossen. Man setzte ihn wieder aus. Drinnen saßen die anderen, tischlerten, lackierten, sortierten, klebten, hatten noch zwei Jahre, fünf Jahre. Er stand an der Haltestelle. Die Strafe beginnt.“ Franz Biberkopf wird aus dem Gefängnis in Berlin Tegel entlassen, in dem er wegen Totschlags an seiner Geliebten Ida gesessen hatte. Mit dem Tempo der Großstadt kann er nicht Schritt halten. Er bewegt sich anfangs unsicher inmitten der Menschenmenge, die Dächer der Häuser scheinen auf ihn einzustürzen. Franz will nun ein anständiger Mensch werden und bleiben, aber er bekommt sein Leben nicht in den Griff. Im Mikrokosmos rund um den Alexanderplatz hält er sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, gerät politisch an den rechten Rand, trinkt in den Kneipen, behandelt Frauen wie ein Stück seelenloser Ware. Schon bald gerät er in „dunkle Gesellschaft“. Die verhängnisvolle Bekanntschaft mit dem skrupellosen und kriminellen Reinhold kostet ihn fast das Leben, als dieser ihn bei einer nächtlichen Diebestour aus einem fahrenden Auto stößt, wobei Biberkopf seinen rechten Arm verliert. Als ihm eine sanfte Schönheit vorgestellt wird, die er ‚Mieze’ tauft, scheint sich sein Schicksal zum Besseren zu wenden. Er verliebt sich wider Erwarten, doch lebt er als Lude auf ihre Kosten und behandelt sie wie alle anderen Freundinnen vor ihr schlecht. Die oberflächliche Idylle währt nur kurz. Reinholds erneutes Auftauchen und dessen Gier, Franzens Miezeken kennen zu lernen, führen in die Katastrophe. Meine Meinung: Liest oder hört man den Anfang von „Berlin
Alexanderplatz“ denkt man unwillkürlich an den Berlin-Film „Sinfonie
einer Großstadt“. Die Stadt, in die Franz Biberkopf nach seinem mehrjährigem
Gefängnisaufenthalt Ende der 1920er Jahre entlassen wird, hat ihr Gesicht
stark verändert. Sie ist nicht mehr die seine, ist zu laut, zu hektisch.
Die beängstigenden Eindrücke lassen ihn zweifeln, ob seine Freiheit
wirklich eine ist oder nicht vielmehr eine neue Art der Bestrafung. Seinem
Vorsatz, „anständig“ zu werden, wird er nicht gerecht. Sein Verhalten
schwankt zwischen Jähzorn und Unsicherheit. Scheitert Biberkopf an den äußeren
Umständen oder an sich selbst? Vermutlich an beidem. Die Romanvorlage,
ein bedeutendes Stück deutscher Literatur der Moderne, ist komplex. Ist
es angebracht, sie für ein Hörbuch auf wenige große Szenen zu kürzen?
Nein, aber die großartige Interpretation lässt das beinahe vergessen.
Ben Becker, der in einer Bühnenfassung von „Berlin Alexanderplatz“
die Titelrolle spielte, nimmt sich beim Lesen sehr zurück. Franz
Biberkopf ist ja auch kein exaltierter Mensch, sondern der Typus eines
Verlierers, der selbst herumgestoßen wird und brutal gegen Schwächere
agiert. Bemerkenswert ist, wie differenziert Becker die Dialoge spricht,
oft im Berliner Dialekt, aber wohltuenderweise stellt sich dabei kein
verharmlosender, folkloristischer Eindruck ein, sondern das Milieu der
„kleinen Leute“ wird greifbar, ihre Wünsche, Hoffnungen, Enttäuschungen.
Sehr gelungen – und das ist die eigentliche Leistung dieser Hörbuchfassung
– sind die Perspektivwechsel zwischen Biberkopfs Innenansichten und der
lärmenden Außenwelt, also genau das, was für LeserInnen häufig gewöhnungsbedürftig
ist. Deshalb sei das Hörbuch vor allem denjenigen empfohlen, die beim
Lesen des Romans gescheitert sind. Es kann die Lektüre keinesfalls
ersetzen, jedoch den Einstieg erleichtern oder aber die Erinnerungen an
die Geschichte des Transportarbeiters Franz Biberkopf auffrischen. |
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© 2002 Hoerbuecher4um, erstellt
am 05.04.2004, letzte Änderung am 06.04.2004, Layout by abrakan